Muddi hat ja eine bekannte Makula – Degeneration. Sie sagt immer wieder, dass sie so schlecht sehen kann. „Vielleicht stimmt meine Brille nicht mehr“, meinte sie schon öfter. Also fahren wir mit ihr zu unserem Optiker. Ihre alte Brille ist bestimmt schon ziemlich alt. Das Ganze wird ein mittleres Abenteuer.Muddi soll die Buchstaben und Zahlen da vorlesen. Sie begreift das nicht. Also bekommt sie einen Text aus der Zeitung. „Ist es so besser oder schlechter?“ wird sie gefragt. Muddi liest unbeirrt den Text vor.
Am Schluss kann sie ihn auswendig, denn sie liest ihn immer gleich, egal welche Stärke eingelegt ist. Schließlich bekommt sie dann eine neue Brille für viel Geld. Hoffentlich kann sie jetzt besser sehen. Ich bezahle das mit Geld von ihrem Sparbuch, das ich immer wieder abhebe und auf ein Extrakonto gebe. Ich hatte vor vielen Jahren, als man noch mit ihnen über alles reden konnte, eine Bankvollmacht für ihr Konto und auch das Sparbuch bekommen. Ich kann das nicht mehr einzeln mit Vaddi abrechnen. Ich habe Vaddi um die Erlaubnis gebeten, immer wieder Geld vom Sparbuch abzuheben, damit ich all diese Dinge bezahlen kann. Außer dem Taschengeldkonto sind ja noch mehr Dinge zu bezahlen: Zuzahlungen beim Arztbesuch, damals musste man ja pro Quartal 10 € bezahlen, Zuzahlungen für die Ergotherapie, für Medikamente, Lebensmittel, Kosmetikartikel, Blumen für die Wohnung und den Balkon, mal eine Zeitschrift, für Vaddi eine Billigbrille, weil er seine irgendwie nicht mehr fand und die alte Brille von Muddi aufsetzte. Das tut den Augen bestimmt nicht gut. Die Liste ist lang. Sie sind immer so sparsam gewesen in ihrem Leben und ich gebe jetzt ihr Geld aus. Auch für andere Dinge, die sie brauchen. Sie haben sich schon so lange nichts mehr gekauft und haben kaum etwas Schönes zum Anziehen. Allein die Unterwäsche. Und sie müssen es jetzt nicht mehr sparen. Nicht für uns, jetzt sollen sie sich davon etwas gönnen, es ist ihr Geld.
Da Vaddi, trotz seiner Beteuerungen, nie bei sich sauber macht, muss ich mir etwas einfallen lassen. Meist lasse ich in der Küche oder im Bad einen Becher Wasser fallen. „Ach du Schreck! Ich wische das jetzt schnell eben auf“, sage ich dann. Vaddi hält mich inzwischen bestimmt schon für extrem ungeschickt. Oder ich beziehe sein Bett neu, weil Claus ja sonst seine Waschmaschine nicht vollkriegt. Bei uns wäscht Claus. Da ich dann so viel Staub aufgewirbelt habe, möchte ich schnell noch staubsaugen. „Ich mach das schon“, sagt Vaddi dann. „Ach lass mal Vaddi, den Staub habe ich jetzt gemacht, dann muss ich ihn auch wieder wegmachen“. Manchmal nutze ich auch die Gelegenheit, wenn beide Eltern unten pünktlich beim Mittagessen sitzen, um bei ihm heimlich zu putzen. Ich hab ja einen Zweitschlüssel.
Andauernd renne ich auf den Flur, von wo aus man durch das Fenster in den Speisesaal schauen kann. Ich bin jedes Mal schweißgebadet, denn sie essen immer viel zu schnell. Früher hat Vaddi immer gerne saubergemacht, hat mit Vorliebe den PVC Boden im Flur und Badezimmer mit Wachs behandelt und sich unbändig gefreut, wenn wir zu Besuch kamen und eigentlich gar nicht eintreten wollten, weil wir glaubten, es sei gerade gewischt worden und alles ist noch nass. So glänzend hatte er den Boden bearbeitet. So glänzend vor Freude waren damals auch seine Augen. Ich kann doch jetzt nicht zu ihm sagen, es wäre bei ihm nicht sauber.Um die zwei etwas zu bespaßen, holen wir sie oft zu uns.
Es ist schön, im Garten zu sitzen, es gibt ein kaltes Bier, so wie früher bei ihnen und danach Kaffee. Zum Abendbrot sind sie wieder zurück. Meist redet nur Vaddi, denn Muddi hat nach wie vor Schwierigkeiten, die richtigen Wörter auszusprechen. Wenn ich mit ihr allein bin, dann verstehe ich sie, dann kann ich auch schon mal den richtigen Anstoß geben, aber Vaddi hat dafür keine Geduld oder vielleicht versteht er auch nicht mehr, dass Muddi das wegen des Schlaganfalles nicht mehr richtig kann?
Hilfe bei Alzheimer / Demenz
Alzheimer-Telefon: 030 – 259 37 95 14 (Mo-Do 09:00-18.00 Uhr; Fr. 09.00-12.00 Uhr)
Beratung in türkischer Sprache: Mittwoch 10.00 – 12.00 Uhr
Überwiegend werden Demenzkranke immer noch von der eigenen Familie gepflegt und betreut. Oft führt diese zusätzliche Aufwand zu einer Überlastung der Familie. Hier können ambulante Pflegedienste, Pflegeeinrichtungen, ehrenamtliche Helfer oder Angehörigen-Sprechgruppen Unterstützung anbieten. Sprechen Sie uns hierzu gerne an.
Text: Auszug aus Hanna’s Blog – https://alzheimertagebuch.wordpress.com/
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